Piercing (von
engl. to pierce [
pɪəs], „durchbohren, durchstechen“ über
altfrz. percier und
lat. pertundere, „durchstoßen, durchbrechen“) ist eine Form der
Körpergestaltung, bei der Schmuck in Form von
Ringen oder Stäben an verschiedenen Stellen des menschlichen Körpers durch die
Haut und das darunter liegende
Fett- oder
Knorpelgewebe eingefügt werden.
Geschichte
Geschichte und Kultur
Mursi-Frau mit ausgezogenen Lippen- und Ohrläppchentellern
Die gezielte Verletzung verschiedener Haut- und Körperstellen, wie Zunge, Lippen oder Ohren als traditioneller Körperschmuck wird bereits seit Jahrtausenden von zahlreichen Kulturen und Ethnien praktiziert. Dabei handelt es sich neben der schmückenden Funktion meist um die Abgrenzung zu anderen Volksstämmen, um spirituelle Rituale oder die symbolische Darstellung und Zelebrierung eines Veränderungsprozesses der Reife oder des gesellschaftlichen Status. Dagegen handelt es sich bei den meisten Oberflächenpiercings, wie dem Korsett-Piercing oder dem Madison-Piercing, um eine Neuerscheinung der späten 1990er Jahre handelt.
Traditionelles Piercing
Inderin mit Ohren- und Nasenstecker
Bei den Ureinwohnern Amerikas, Afrikas und Asiens sind Piercings in den Ohrläppchen, den Nasenflügeln und der Nasenscheidewand, den Lippen und den Genitalien überliefert. Der Schmuck dieser Kulturen wurde aus Holz, Quarz, Perlmutt, Ton, Horn und Knochen und anderen einfachen Metallen gefertigt. Erste Ohrlöcher sind in Ägypten etwa 1.550 v. Chr. nachweisbar. Die Totenmaske des altägyptischen Pharao Tutanchamun zeigt diesen mit geweiteten Ohrlöchern. Auch bei Buddha-Statuen oder Relikten der Azteken werden vergrößerte Ohrlöcher dargestellt.
Bei den Mursi im Süden Äthiopiens gehören durchstochene oder eingeschnittene und besonders weit gedehnte Piercings in den Lippen und Ohrläppchen zum Schönheitsideal. Je größer der Teller ist, desto mehr Ansehen gilt der Frau. Heute dient der ausgefallene Schmuck auch bewusst als Touristenattraktion. In Indien tragen viele Frauen traditionell Stecker in den Ohrläppchen und dem Nasenflügel. Gemäß dem hinduistischen Glauben werden Kindern im Rahmen des Karnavedha-Rituals Ohrlöcher gestochen, um sie vor Krankheiten zu schützen.
In der thailändischen Stadt Phuket findet seit 1825 jährlich das Vegetarian Festival statt. Während der ersten neun Tage des neunten Monats des chinesischen Kalenders versetzen sich die zahlreichen Teilnehmer im Rahmen einer Götterbeschwörung in Trancezuständeund stechen sich während einer Prozession Schwerter, Äste, Eisenstangen oder Alltagsgegenstände mit teilweise sehr großen Durchmessern durch Wangen, Zunge oder andere Körperstellen. Dabei fungieren sie als Medium der neun Schutzgeister und werden während des Rituals als Besessene derer betrachtet.
Beim Sonnentanz handelt es sich um eine Zeremonie verschiedener Indianerstämme der amerikanischen Prärie und Plains, bei dem sich die Tänzer die Haut an Brust oder Rücken durchstechen und mit Schnüren verbundene Holzpflöcke hindurchführen. Die Schnüre werden an einen Baum gebunden, um den die Indianer vier Tage lang von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ohne Schatten, Nahrung und Wasser tanzen. Diese Tradition ist von der Bewegung der Modern Primitives unter der Bezeichnung Body-Suspension aufgegriffen worden.
Geschichte des modernen Piercings
Bereits in den 1950er und 1960er Jahren experimentierte Fakir Musafar als Pionier intensiv mit Körpermodifikationen älterer Kulturen, um dabei spirituelle Erfahrungen zu sammeln. Der mit ihm in Kontakt stehende Amerikaner Doug Malloy etablierte das Bodypiercing kurz darauf in einem kleineren Kreis der Homosexuellen- und Fetischszene. Ohrlöcher waren bis Anfang der 1970er Jahre im westlichen Kulturkreis nur bei Frauen akzeptiert und wurden meist selber oder vom Juwelier gestochen. Zwar gab es mit The Gauntlet in Los Angeles schon 1975 den ersten Piercing-Shop, die Verbreitung dieser Mode begann in den 1980er Jahren in Kalifornien, als die Bewegung der Modern Primitives entstand. Dabei wurden bewusst die bei Naturvölkern verbreiteten Bräuche aufgenommen, um den eigenen Körper zu modifizieren. Dazu gehörten vor allem Tätowierungen, Piercings oder Narbenbildungen (Scarification), später auch das Branding.
Noch zu Beginn der 1990er Jahre blieb das Piercing überwiegend auf die Punk- und BDSM-Szene beschränkt und breitete sich von dort im Laufe weniger Jahre aus Die Brasilianerin Elaine Davidson gilt mit über 2.500 Piercings laut Guinness-Buch der Rekorde als weltweit meistgepiercte Frau.
Mit der zunehmenden Verbreitung begannen auch unerfahrene Piercer das Stechen auszuführen, worauf im Jahr 1994 die
Association of Professional Piercers (APP) gegründet wurde, die es sich zur Aufgabe macht, Mindeststandards für das Gewerbe festzulegen. Mittlerweile existieren weitere Berufsverbände wie die 2006 gegründete
European Association for Professional Piercing (EAPP).